Schuppen in Vollbrand - Sicht und Gedanken eines angehenden Einsatzleiters
Der digitale Meldeempfänger erklingt um 21:45 Uhr, die Beschreibung lautet „F2 (Standardfeuer), Feuerschein“ am Fümmelsee. Mit diesen Informationen alarmiert die Integrierte Regionalleitstelle Braunschweig die Ortsfeuerwehr Fümmelse und die Ortsfeuerwehr Wolfenbüttel mit ihrem Löschzug, bestehend aus einem Tanklöschfahrzeug (TLF 16/25), einem Hilfeleistungs-Löschgruppenfahrzeug (HLF 20/16), einer Drehleiter (DLK 23/12) und einem weiteren Löschgruppenfahrzeug (LF 8) am Donnerstag, den 19.11.2020. Ich merke, wie mein Adrenalinpegel steigt, da ein Feuerschein häufig auf „keinen Fehlalarm“ hinweist. Mein erster Einsatz als Brandmeister vom Dienst in Ausbildung, in Funktion „Führungsassistent“ für den Zugführer Wolfenbüttel, beginnt. Ich schwinge mich in meine Einsatzkleidung – habe ich auch nichts vergessen? Portemonnaie, Meldeempfänger für die genaue Adresse, Notizbuch, Stift, Hausschlüssel, ein kleines Ringbuch mit der Aufschrift „Führungshilfen für Einsatzleiter“ – alles da. Kurz telefoniere ich mit dem diensthabenden Zugführer, Lars Markwardt, wo er mich mit dem Kommandowagen auf dem Weg zum Einsatz einsammeln soll und verlasse die Wohnung.
Mark Stephan (33) trat am 07.11.2011 in die Feuerwehr Wolfenbüttel ein und ist seit Sep. 2019 stv. Zugführer des 3.Zuges.
Als ich in das Fahrzeug einsteige, informiert Lars mich, dass bereits mehrere Anrufe eingegangen seien – ein ganz klarer Hinweis auf einen scharfen, größeren Einsatz. Schon von weitem können wir die brennende Fläche auf der Anfahrt erkennen. Der erste Blick in Höhe des Autohauses Wolfenbüttel zeigt eine Fläche von ungefähr 80m², relativ weit abgelegen von der Straße zwischen Bäumen, Sträuchern und Büschen, lichterloh brennend. Dank der bereits anwesenden Kollegen von der Polizei erreichen wir zielgenau die Einfahrt zum Feldweg, der zum knapp 200m abgelegenen Brandobjekt führt. Sie informieren uns außerdem, dass wohl ein Schuppen mit Bienenvölkern brenne. Der Kommandowagen bleibt an der Einfahrt stehen, da wir das Gelände nicht kennen und er für weitere Einsätze zum späteren Zeitpunkt zur Verfügung stehen soll. Die ersten Schritte, bevor es an die Befehlsgebung der anrückenden Kräfte geht, bestehen im Finden des Einsatzorts und der Lageerkundung. Dafür haben wir nicht viel Zeit; es dauert im Normalfall nur wenige Minuten, bis sich die ersten Fahrzeuge über Funk melden und auf ihre Anweisungen, wie zum Beispiel den Anfahrtsweg, warten. Ich laufe zügig über den stockdunklen, unebenen Feldweg und versuche, die mitgeführten Gegenstände aus den wenigen, engen Taschen der Einsatzkleidung nicht zu verlieren. Das spärliche Licht der Taschenlampe wackelt im Takt der Bewegung hin und her. Bloß nicht stolpern! Wir erreichen das Ziel – der erste Anblick ist beeindruckend:
Ich spüre die Wärme, höre das Knistern und sehe den Funkenflug. Jetzt rattert der Kopf: Welche Fahrzeuge sollen auf den Feldweg fahren? Könnten sie steckenbleiben? Besteht die Gefahr durch Explosion von eventuell gelagerten Gasflaschen? Die Tanklöschfahrzeuge bieten zwar genug Wasser für einen Erstangriff, aber woher erhalten wir später die dauerhafte Versorgung? Fragen über Fragen, die ein Einsatzleiter innerhalb von Sekundenbruchteilen beantworten und entscheiden muss, damit der Einsatz effektiv, reibungslos und organisiert abläuft. Allerdings werde ich wieder etwas ruhiger: Der Schuppen ist bereits bis zu den Grundbalken heruntergebrannt; da ist leider nichts mehr zu retten. Die Vegetation links und rechts davon steht zwar in direktem Flammenkontakt, ist jedoch zu dieser Jahreszeit feucht genug, dass ich keine schnelle Ausbreitung befürchte. Da droht also keine direkte Gefahr – zum Glück! Der Knackpunkt ist also nur die Herstellung der Wasserversorgung, und dafür haben wir sogar etwas Zeit.
Die weiteren Minuten vergehen gefühlt wie im Sekundentakt. Das TLF Wolfenbüttel rollt über den Feldweg an und erwartet seine Aufstellposition; der Einsatzleiter der Ortsfeuerwehr Fümmelse, Armin Pape, trifft bei uns ein und bespricht das weitere Vorgehen. Das Funkgerät gibt überhaupt keine Ruhe mehr; Ausrück- und Statusmeldungen der alarmierten Fahrzeuge, Lagemeldung an die Leitstelle – ich bekomme den Eindruck, dass der Job eines Einsatzleiters und Zugführers in den ersten Minuten nur aus Funkverkehr besteht. Wie soll ich in Zukunft praktisch gleichzeitig eine Lagemeldung abgeben, mir eine Strategie für den Einsatz überlegen und die ankommenden Fahrzeuge einweisen? Wir haben keine Zeit, wie im Lehrgang beigebracht im ersten Schritt um das komplette Gebäude herumzugehen; der Erstangriff muss so starten. Armin bietet uns die Herstellung einer Löschwasserversorgung über das Fümmelser Löschfahrzeug an, wenn unsere Leute ihm ein bisschen entgegen kommen – ein großartiger Deal, damit wäre auch diese Herausforderung gelöst. Die Löscharbeiten mit dem Schnellangriff sind inzwischen in vollem Gange und erzeugen eine meterhohe, undurchsichtige, dauerhaft anhaltende und beißende Wolke aus Brandrauch und Wasserdampf. Der Feuerschein wird kleiner. Ich höre im Hintergrund, wie sich Lars mit einigen der Fahrzeugführer über Beleuchtung der Einsatzstelle unterhält. Ach ja, das muss ja auch organisiert werden! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, weil das Feuer bisher mehr als genug Licht erzeugt hat. Ich habe Mühe, während meiner Beobachtungen, Gedanken und Überlegungen an Lars Seite zu bleiben. Meine Jobs bei diesem Einsatz sind: Beobachten, Zuhören und Lernen. Ich versuche, an seinen Hacken zu kleben, aber er läuft ständig von einem Fahrzeugführer zum nächsten, dann wieder zum Einsatzleiter, nochmal zum Brandobjekt. Die lauten Motorgeräusche vom TLF, der Pumpe und dem inzwischen aufgestellten Überdruckbelüfter, um den Weg vor dem Schuppen etwas vom Brandrauch freizuhalten, machen eine normale Kommunikation fast unmöglich. Lars funkt die gerade ausgerückte Drehleiter an und befiehlt dem Fahrzeugführer, wieder in die Wache einzurücken und stattdessen ein weiteres Tanklöschfahrzeug zu besetzen, um noch mehr Wasser in Reserve vor Ort zu haben. Ich bin ein bisschen stolz auf mich: Diesen Gedanken hatte ich auch schon! Auf dem erdigen Gelände des Felds kann man mit einer Drehleiter nicht viel anfangen, aber das neu angeforderte Fahrzeug hat sowohl eine große Menge Wasser als auch viel Material zur Beleuchtung an Bord.
Die Einsatzstelle füllt sich mit jeder Minute: Neben den inzwischen ungefähr 40 Einsatzkräften ist auch praktisch die gesamte Feuerwehrführung der Stadt Wolfenbüttel vertreten. Armin ruft alle Führungskräfte vor Ort, knapp zehn Kameraden, zu einer Besprechung zusammen. Neben grundlegenden organisatorischen Dingen besprechen sie das weitere taktische Vorgehen; die Kameraden aus Fümmelse sollen einen zweiten Löschangriff von der hinteren Seite des Schuppens starten. Ich bemerke, wie wichtig solche Besprechungen sind, um die Informationen, die mir durch das frühe Eintreffen und die engen Besprechungen mit dem Einsatzleiter längst zur Verfügung stehen, auch an die anderen Fahrzeugführer zu verteilen. Nur so können alle an einem Strang ziehen und in die gleiche Richtung laufen – das muss ich mir für Einsätze dieser Größe merken!
Der Einsatz verläuft weitestgehend ruhig und wird Schritt für Schritt abgearbeitet. Die Atemschutzgeräteträger dämmen die Flammen von den beiden Seiten, die an die Vegetation grenzen, ein, bis schließlich nur noch ein qualmender Schuttberg übrig ist. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie viel Wärme selbst nach dem kompletten Ablöschen immer noch in den Überresten zu finden ist. Mit der Zeit beleuchten mehrere Scheinwerfer und Stative die Einsatzstelle von allen Seiten und das Rattern der verschiedenen Stromaggregate erklingt aus allen Richtungen. Jetzt kann ich innerlich durchatmen: Die restlichen Aufgaben besteht nur noch aus harter Arbeit, nämlich dem Herausbringen und Ablöschen der größeren Teile und dem Abdecken der Ruine mit einem Schaumteppich. Jetzt drohen keine unerwarteten oder übersehenen Gefahren mehr. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, den Kameraden bei ihrer Arbeit nicht zu helfen und nur „am Rand zu stehen“ oder durch die Gegend zu gehen und zu überprüfen, ob und wie die zugeteilten Aufgaben erledigt werden, jedoch verliere ich in dem Moment, in dem ich mit anfasse, den Gesamtüberblick und vernachlässige meine eigenen Aufgaben. Irgendwann alarmiert Lars die Gerätewarte nach, um mit dem Logistik-LKW die kontaminierten Schläuche und Einsatzbekleidungen abzutransportieren. Für mich heißt das: In Kürze stoppen die Fahrzeuge ihre Wasserversorgungen und drehen die Hähne zu, so dass die Einsatzkräfte die Schläuche aufrollen und alle eingesetzten Geräte zurückbauen können. Ich gehe noch einmal den Schauplatz komplett ab und prüfe, dass keiner einen Gegenstand zurücklässt. Danach rücke ich mit Lars wieder ein, aber ganz beendet ist der Einsatz noch nicht: Es gibt eine Nachbesprechung, die Einsatzkleidung muss grob gereinigt oder getauscht, die Fahrzeuge wieder einsatzbereit gemacht und der Einsatzbericht geschrieben werden. Die Alarmierung erreichte mich um 21:45 Uhr, die Nachricht „Feuer aus“ eine Stunde später, aber meine Wohnung erreiche ich doch erst um 00:30 Uhr.
Auch wenn ich dieses Mal noch nicht der Einsatzleiter war, heißt die Nachbereitung für mich: Notizbuch aufklappen, alles im Kopf nochmal durchgehen und die wichtigsten Eckdaten aufschreiben, um am nächsten Tag diesen Bericht zu verfassen. Und ich erwische mich dabei, wie viele Details während des Einsatzes einfach „verlorengegangen“ sind. Für nächstes Mal nehme ich mir vor, mich noch mehr zu konzentrieren und auf noch mehr Details zu achten. Allerdings habe ich auch dieses Mal schon wahnsinnig viel gelernt und mitgenommen, bin sehr gespannt und freue mich auf meinen nächsten Einsatz als Führungsassistent.